„Die Gedanken sind frei und nur du selbst kennst deine. In seinem
eigenen Kopf ist für sich jeder alleine. Und mittlerweile passiert um mich rum
so viel Scheiße - Hurra endlich hab ich etwas, worüber ich schreiben kann.“
Seine eigenen Gedanken musikalisch wieder zu finden passiert selten.
Obwohl es Millionen von Künstlern, Alben und Ansichten gibt, existiert nur eine
Handvoll von wirklich passenden Klängen und Aussagen. NMZS war für mich eine
dieser Ausnahmefälle.
Den Düsseldorfer hörte ich vor einigen Jahren das erste Mal in dem
beinahe-schon Klassiker „Fick die Uni“. Er und der Rest seiner Crew
mischten mit dem Track die Studenten und deren inszenierte Lebensweise aufs
Passendste auf. Der Hauptbezugspunkt sind Klischees, in ein paar Punkten der
Aufzählung findet sich wahrscheinlich jeder wieder.
Diese vor Arroganz, Spott und Ironie triefende Musik lernte ich mit dem
ersten Album lieben. Spastik Desaster hörte ich rauf und
runter, bis jede einzelne Line sich in mein Langzeitgedächtnis gefressen hatte.
Intelligente Absurdität, gepaart mit einem Maß Aggressivität und (Selbst-)Witz
ist eine herrliche Mischung. Authentizität erzeugt durch den selbst-gestellten,
augenscheinlichen Anspruch, keinen Anspruch zu haben – außer dem eigenen,
scheinbar willkürlichen. Genau das ziehen sie durch, die persönliche Note der
Antilopengang findet sich in jedem Album wieder. Versuche der Interpretation
sind unerwünscht und werden belächelt, wie im Track „Kommentarfeld“
klar gestellt wird.
(„Du bist wirklich sehr belesen, sehr klug, sehr schlau. Keiner peilt
was wir meinen, aber du hast es durchschaut – darum kannst du dir auch denken
wie wir denken oder handeln, schreib es in ein Kommentarfeld „Ich hab es
verstanden“).
Die Antilopengang bestand bis 2013 aus Danger Dan, Panik Panzer, Koljah
Kolerikah und NMZS. Letzterer nahm sich vergangenes Jahr das Leben. Daraus
folgte eine für die Gang bisher noch nicht dagewesene Aufmerksamkeit in den
Medien. Ich bin mir sicher, dass sie damit einen persönlichen, schweren Schlag
erlitten haben. Dennoch reagieren sie einer provokativen Nüchternheit, die
ihresgleichen sucht. Nachdem Prinz Pi auf irgendeinem Konzert die Antilopengang
als erste Crew auf dem Splash-Festival bekannt gab und das mit
„...noch nie gehört, aber dürfen auf dem Spash spielen“ kommentierte, schrieben
sie kurzerhand einen stichhaltigen Disstrack gegen Pi.
Abgesehen von vielen adaptierten Lines des Prinzen, die auf seinen
Imagewechsel und seine fragwürdige Authentizität abzielte, hallte es: „...aber
wieso kennt Friedrich denn nicht Antilopen, jeder kennt uns, wir sie die mit
dem Toten. Das ist unser Bonus, deshalb dürfen wir beim Splash spielen, darum
haben Hip-Hop Medien jetzt Interesse.“
Ein paar Monate vorher, kurz nach dem Tot von Nmzs, veröffentlichten sie
sein letzte Soloalbum post mortem: Der Ekelhafte. In Anlehnung an
„Der Ekel“ von Jean Paul Sartre zeigte Nmzs ein letztes Mal seine Perspektive
auf die Welt. In Sartres Buch geht es um ein Individuum, das eine ständig
wiederkehrende Emotion erlebt: den Ekel. In Nmzs vorherigen
„Aschenbecher“- Album erlebt man einen jungen, von Nervosität, Angst und Panik
geplagten Künstler, welcher der Welt offensichtlich mit Ablehnung
entgegentritt. Wer schon einmal von Panikattacken geplagt wurde, dem sprechen
Tracks wie „Ich hab mich dran gewöhnt“ aus der Seele. Wer seine Umgebung unverschleiert
und ohne Schönmalerei in Augenschein genommen hat, der findet die
vollkommene Absurdität der Gesellschaft in „So ungefähr“ wieder. Zusammen mit
Danger Dan entstand dieses vom Nihilismus durchzogene Album. Es beschreibt die
Sinnlosigkeit des Daseins so unverblümt, wie kein zweites.
Durch das Bewusstsein, das die facettenreiche Gesellschaft etwas
inszeniertes darstellt, dem man offensiv entgegentreten sollte und der
Beschreibung des eigene Ohnmachtsgefühls bewirkt es eine gnadenlose Authentizität
frei vom Mainstream. Beim Hören bekomme ich nicht das Gefühl, dass hier etwas
Schönes erschaffen werden sollte – sondern etwas Ehrliches.
Ähnlich geht es in dem schon erwähnten post mortem Album zu. Das Intro
zeigt einen willentlich dem Verfall gerichteten Menschen, der mit dem
Blendercharakter der angeblichen Kunst nichts anzufangen weiß „Fick auf eure
Kunst, eure Kunst ist nur ein Wort, ich erschieß mich im Museum und krieg
hunderte Awards. Zieh mich aus dem Dickicht und bin halb Mensch, halb Kippenstummel...“.
Die dreiteilige „1984“ Reihe skizziert NMSZ ganze Jugendgeschichte im
Schnelldurchlauf. „Zimmer aus Papier“ und „Siegen“ beschreiben
Familienverhältnisse und das Leben in einer abgelehnten Stadt. Humorvoll
verpackt, wohl möglich überspitzt, aber klare, negative Erfahrungen.
Hervor sticht hier, dass es einen sehr persönlichen Charakter besitzt
und nicht zwingend ein Generation-Portrait erschaffen will. Viel mehr hagelt es
Kritik gegen „falsche“ Lebensstile, gegen das aufgesetzte Scheinleben. Nmzs grenzt sich ab, wird „Nie so wie Ihr – eher tätowiere ich mir <keep it
real> auf die Stirn“. Die homogene Gesellschaft und der ironische Mob ist
verabscheuungswürdig, seine Stadt besetzt von „Hipster Hitlern“. Es ist schwer
sich selbst in eine Welt einzuordnen, die man ablehnt. In einer mannigfaltigen
Welt, in der Gut und Böse nicht mehr klar definiert zu sein scheinen. Die
eigene Stadt erscheint denkbar unbequem, in dem „Düsseldorf“ Skit erzählt eine
junge Stimme schlicht und ergreifen, dass Düsseldorf mies sei, dort Junkies
leben würden, es ganz klein und grässlich sei. Es wirkt wie eine Abrechnung.
„Und es ist ganz normal, wenn du ständig Ekel empfindest,
mal kommt der Ekel von außen, mal kommt der Ekel von innen,
und wenn irgendwann alles um dich herum ekelhaft wird,
brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du selber ekelhaft wirst.“
In Sartres Buch überkommt den Protagonisten der Ekel aufgrund der
Zufälligkeit und der Sinnlosigkeit seiner Existenz. Nietzsche benutzt den
Begriff u.a. für den Tätigen und Mächtigen, der Gefahr läuft, unter seinen
zappelnden, geistlosen Zeitgenossen den Ekel zu empfinden. Wenn auch aus einem
anderen Kontext, scheint es auch in diesem Bezug unendlich passend:
„Ohne Beschönigung des Ausdrucks
gesprochen: die Masse des Einströmenden ist so groß, das Befremdende,
Barbarische und Gewaltsame dringt so übermächtig, »zu scheußlichen Klumpen
geballt«, auf die jugendliche Seele ein, daß sie sich nur mit einem
vorsätzlichen Stumpfsinn zu retten weiß. Wo ein feineres und stärkeres
Bewußtsein zugrunde lag, stellt sich wohl auch eine andre Empfindung ein: Ekel.
Der junge Mensch ist so heimatlos geworden und zweifelt an allen Sitten und
Begriffen…“
Ein Jahr nach dem Tod von Nmzs veröffentlichte Koljah
einen Track namens „Über den Schutzpatron des Husaren“. Er beschreibt
seinen Freund aus seiner Perspektive, in der Hook verweist er auf die
Unsterblichkeit von Nmzs.
Damit hat er Recht.
Meine Mutter hat damals geweint, als John Lennon
erschossen wurde. Bisher konnte ich das nicht nachvollziehen. Und dann kam der
22.03.2013.