Montag, 17. November 2014

geisterstunden



gedanken, hört auf zu rasen. ich will schlafen.
hab genug gelitten. darf ich um ruhe bitten?
will nichts mehr wissen. niemanden vermissen
auf erkenntnis verzicht ich. reflexion will ich nicht.

tagsüber durchhängen. nächte nie durchpennen.
keine ruhephase. weil ich vor mir keine ruhe habe.
ständige kaffeetassen. beginne kaffee zu hassen.
muss endlich  einschlafen. oder mehr zeit haben.

hab mir einen geist erfunden. in geisterstunden.
er macht, dass ich unbequem liege. krise.
stirn zerknittert. gesicht verbittert.
problem am bewusstsein: bewusst sein. 
 

Montag, 4. August 2014

Antilopengang und Nmzs - ein trauriges Tribut

„Die Gedanken sind frei und nur du selbst kennst deine. In seinem eigenen Kopf ist für sich jeder alleine. Und mittlerweile passiert um mich rum so viel Scheiße - Hurra endlich hab ich etwas, worüber ich schreiben kann.“

Seine eigenen Gedanken musikalisch wieder zu finden passiert selten. Obwohl es Millionen von Künstlern, Alben und Ansichten gibt, existiert nur eine Handvoll von wirklich passenden Klängen und Aussagen. NMZS war für mich eine dieser Ausnahmefälle.

Den Düsseldorfer hörte ich vor einigen Jahren das erste Mal in dem beinahe-schon Klassiker „Fick die Uni“. Er und der Rest seiner Crew mischten mit dem Track die Studenten und deren inszenierte Lebensweise aufs Passendste auf. Der Hauptbezugspunkt sind Klischees, in ein paar Punkten der Aufzählung findet sich wahrscheinlich jeder wieder.
Diese vor Arroganz, Spott und Ironie triefende Musik lernte ich mit dem ersten Album lieben. Spastik Desaster hörte ich rauf und runter, bis jede einzelne Line sich in mein Langzeitgedächtnis gefressen hatte. Intelligente Absurdität, gepaart mit einem Maß Aggressivität und (Selbst-)Witz ist eine herrliche Mischung. Authentizität erzeugt durch den selbst-gestellten, augenscheinlichen Anspruch, keinen Anspruch zu haben – außer dem eigenen, scheinbar willkürlichen. Genau das ziehen sie durch, die persönliche Note der Antilopengang findet sich in jedem Album wieder. Versuche der Interpretation sind unerwünscht und werden belächelt, wie im Track „Kommentarfeld“ klar gestellt wird.
(„Du bist wirklich sehr belesen, sehr klug, sehr schlau. Keiner peilt was wir meinen, aber du hast es durchschaut – darum kannst du dir auch denken wie wir denken oder handeln, schreib es in ein Kommentarfeld „Ich hab es verstanden“).
Die Antilopengang bestand bis 2013 aus Danger Dan, Panik Panzer, Koljah Kolerikah und NMZS. Letzterer nahm sich vergangenes Jahr das Leben. Daraus folgte eine für die Gang bisher noch nicht dagewesene Aufmerksamkeit in den Medien. Ich bin mir sicher, dass sie damit einen persönlichen, schweren Schlag erlitten haben. Dennoch reagieren sie einer provokativen Nüchternheit, die ihresgleichen sucht. Nachdem Prinz Pi auf irgendeinem Konzert die Antilopengang als erste Crew auf dem Splash-Festival bekannt gab und das mit „...noch nie gehört, aber dürfen auf dem Spash spielen“ kommentierte, schrieben sie kurzerhand einen stichhaltigen Disstrack  gegen Pi. Abgesehen von vielen adaptierten Lines des Prinzen, die auf seinen Imagewechsel und seine fragwürdige Authentizität abzielte, hallte es: „...aber wieso kennt Friedrich denn nicht Antilopen, jeder kennt uns, wir sie die mit dem Toten. Das ist unser Bonus, deshalb dürfen wir beim Splash spielen, darum haben Hip-Hop Medien jetzt Interesse.“
Ein paar Monate vorher, kurz nach dem Tot von Nmzs, veröffentlichten sie sein letzte Soloalbum post mortem: Der Ekelhafte. In Anlehnung an „Der Ekel“ von Jean Paul Sartre zeigte Nmzs ein letztes Mal seine Perspektive auf die Welt. In Sartres Buch geht es um ein Individuum, das eine ständig wiederkehrende Emotion erlebt: den Ekel. In Nmzs  vorherigen „Aschenbecher“- Album erlebt man einen jungen, von Nervosität, Angst und Panik geplagten Künstler, welcher der Welt offensichtlich mit Ablehnung entgegentritt. Wer schon einmal von Panikattacken geplagt wurde, dem sprechen Tracks wie „Ich hab mich dran gewöhnt“ aus der Seele. Wer seine Umgebung unverschleiert und ohne Schönmalerei  in Augenschein genommen hat, der findet die vollkommene Absurdität der Gesellschaft in „So ungefähr“ wieder. Zusammen mit Danger Dan entstand dieses vom Nihilismus durchzogene Album. Es beschreibt die Sinnlosigkeit des Daseins so unverblümt, wie kein zweites.
Durch das Bewusstsein, das die facettenreiche Gesellschaft etwas inszeniertes darstellt, dem man offensiv entgegentreten sollte und der Beschreibung des eigene Ohnmachtsgefühls bewirkt es eine gnadenlose Authentizität frei vom Mainstream. Beim Hören bekomme ich nicht das Gefühl, dass hier etwas Schönes erschaffen werden sollte – sondern etwas Ehrliches.
Ähnlich geht es in dem schon erwähnten post mortem Album zu. Das Intro zeigt einen willentlich dem Verfall gerichteten Menschen, der mit dem Blendercharakter der angeblichen Kunst nichts anzufangen weiß „Fick auf eure Kunst, eure Kunst ist nur ein Wort, ich erschieß mich im Museum und krieg hunderte Awards. Zieh mich aus dem Dickicht und bin halb Mensch, halb Kippenstummel...“. Die dreiteilige „1984“ Reihe skizziert NMSZ ganze Jugendgeschichte im Schnelldurchlauf. „Zimmer aus Papier“ und „Siegen“ beschreiben Familienverhältnisse und das Leben in einer abgelehnten Stadt. Humorvoll verpackt, wohl möglich überspitzt, aber klare, negative Erfahrungen.
Hervor sticht hier, dass es einen sehr persönlichen Charakter besitzt und nicht zwingend ein Generation-Portrait erschaffen will. Viel mehr hagelt es Kritik gegen „falsche“ Lebensstile, gegen das aufgesetzte Scheinleben. Nmzs grenzt sich ab, wird „Nie so wie Ihr – eher tätowiere ich mir <keep it real> auf die Stirn“. Die homogene Gesellschaft und der ironische Mob ist verabscheuungswürdig, seine Stadt besetzt von „Hipster Hitlern“. Es ist schwer sich selbst in eine Welt einzuordnen, die man ablehnt. In einer mannigfaltigen Welt, in der Gut und Böse nicht mehr klar definiert zu sein scheinen. Die eigene Stadt erscheint denkbar unbequem, in dem „Düsseldorf“ Skit erzählt eine junge Stimme schlicht und ergreifen, dass Düsseldorf mies sei, dort Junkies leben würden, es ganz klein und grässlich sei. Es wirkt wie eine Abrechnung.

„Und es ist ganz normal, wenn du ständig Ekel empfindest,
mal kommt der Ekel von außen, mal kommt der Ekel von innen,
und wenn irgendwann alles um  dich herum ekelhaft wird,
brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du selber ekelhaft wirst.“

In Sartres Buch überkommt den Protagonisten der Ekel aufgrund der Zufälligkeit und der Sinnlosigkeit seiner Existenz. Nietzsche benutzt den Begriff u.a. für den Tätigen und Mächtigen, der Gefahr läuft, unter seinen zappelnden, geistlosen Zeitgenossen den Ekel zu empfinden. Wenn auch aus einem anderen Kontext, scheint es auch in diesem Bezug unendlich passend:

Ohne Beschönigung des Ausdrucks gesprochen: die Masse des Einströmenden ist so groß, das Befremdende, Barbarische und Gewaltsame dringt so übermächtig, »zu scheußlichen Klumpen geballt«, auf die jugendliche Seele ein, daß sie sich nur mit einem vorsätzlichen Stumpfsinn zu retten weiß. Wo ein feineres und stärkeres Bewußtsein zugrunde lag, stellt sich wohl auch eine andre Empfindung ein: Ekel. Der junge Mensch ist so heimatlos geworden und zweifelt an allen Sitten und Begriffen…“

Ein Jahr nach dem Tod von Nmzs veröffentlichte Koljah einen Track namens „Über den Schutzpatron des Husaren“. Er beschreibt seinen Freund aus seiner Perspektive, in der Hook verweist er auf die Unsterblichkeit von Nmzs.
Damit hat er Recht.

Alle Alben gibt es übrigens zum kostenlosen Download.

Meine Mutter hat damals geweint, als John Lennon erschossen wurde. Bisher konnte ich das nicht nachvollziehen. Und dann kam der 22.03.2013. 

Mittwoch, 16. Juli 2014

Wettkampf der gemischten Gefühle

Zwischen Nationalstolz und intuitiver Ablehnung

Ein guter Freund von mir ging kürzlich für ein Jahr nach Australien. Seine Verabschiedung fand im Wedding statt. Sie war am Abend des achten Julis. Während des 7:1 Spiels gegen Brasilien. Vor Anpfiff gehen wir zusammen zum Späti an der Ecke, das letzte Bier kaufen. Im Erdgeschoss lehnt ein älteres Ehepaar aus dem Fenster. Eine einzelne Vuvuzela-Seela ertönt, von der Vorfreude auf das Spiel angetrieben. „Ruhe da draußen!“ brüllte die Frau, schnippt ihr aufgerauchte Zigarette auf die Straße und knallt das Fenster zu. Extreme prallen aufeinander. Bendix und ich sind auch nicht wirklich Fußball-Affin, aber wir haben einen lockereren Umgang gefunden. Auch dieser Weg war steinig.
Ein paar Tage zuvor war ich beispielsweise bei Freundinnen in der WG, Deutschlang gegen Algerien lief. „Seid ihr für Deutschland oder Algerien?“, fragte ich unschuldig. Das war keine gute Idee. In Deutschland sind die Fussballfans zur Wm meistens für Deutschland. Ich treffe auf Unverständnis.
Deutschland – das sind wir alle!“ sagt der Fernseher. „Du bist Deutschland – ob du willst oder nicht“ sagt mein Mp3-Player.
Im Wedding haben wir mittlerweile unser Bier geöffnet, unterhalten uns. Bendix´s Freundin versorgt uns mit Pfannkuchen. Selbst Abschiede haben Vorteile. Plötzlich ertönt ein Ohrenbetäubender Lärm von der Straße. Wahrscheinlich ein Tor für Deutschland. Ich lege Zimt auf meinem Pfannkuchen nach. Minuten später beginnen die Nachbarn, Böller auf dem Fenster zu werfen. Vor der Fußballkneipe gegenüber wird getanzt. Noch ein Tor? Das ging schnell.
Kurz nach dem Abebben donnert es erneut. Scheint was besonderes zu sein, dieses Spiel. Möglicherweise sehenswert. Wir üben uns im Sensationstourismus und stellen ein altes Netbook in die Küche. Das Bild ist winzig und der Ard-Stream ruckelt. Irgendwann bemerken wir, dass wir offensichtlich zwei Minuten hinterherhinken. Draußen läuft die Apokalypse und auf dem Bildschirm passiert nichts. Es wird ein Spiel für uns. Wir feiern erst, wenn es bei uns angekommen ist. Am Ende steht fest: Deutschland kommt ins Finale.
Ich drücke meinen Freund ein letztes mal und fahre nach Hause.

<Das Finale>

Ich wache um 17 Uhr auf. Der Abend nach unserer Einweihungsparty. Das Konfetti wurde schon zusammengefegt. Mein Zimmer ist noch voll davon. Mein Kopf fühlt sich auch danach an. Ich setze mich in die Küche und trinke Wasser. Viel Wasser. Schlafen kann ich erst mal nicht. Dann dämmert es mir. Heute ist Finale.
Freunde gehen zum Schauen in eine Kneipe, nur ein Stück meine Straße hinunter. „Warum nicht“, denke ich. Dreißig Minuten vor Anpfiff komme ich an. Die meisten Plätze sind reserviert. Auf einer Fensterbank ist noch ein Plätzchen frei. Ich kann den gesamten Raum überblicken. Viele Trikots sind zu sehen. Es ist eine Hipster-Kneipe. Die bröckelnden Betonwände liegen blank, alles ist retro. Ein komisches Bild, mit diesen Fußballfans. Die Stimmung ist gut, lachende Leute, es wird angestoßen und zugeprostet. Manuel Neuer wird das erste Mal gezeigt, die Leute klatschen. Als die Argentinier gezeigt werden, ertönt „Ihr sein nur ein Rinderzuchtverein, Rinderzuchverein...“.
Mein Kater macht mir zu schaffen. Ich unterhalte mich kaum. Zum Anpfiff bestelle ich ein Bier. Fühlt sich komisch an, das hier. „Fußball erschafft eine Gemeinschaft, soll verbinden. Du bist Teil davon.“ halte ich mir vor. Aber es fühlt sich nicht so an. Ich grenze mich ab. Schade. Ich mag Fußball, treibe selbst viel Sport und sehe Athleten gern gegeneinander antreten. Ich fiebere mit. Nur die Leidenschaft scheint mir zu fehlen.
In der Halbzeit laufen Nachrichten. Der Ton ist aus, stattdessen Musik, die entfernt an Elekto-Swing erinnert. Ein Fan steht mit seinem weißen Trikot in der Projektionsfläche des Beamers. Bilder aus dem nahen Osten fließen über sein Oberteil und die Wand. Bombenangriffe. Weinende Menschen. Ein hässliches Gesamtkonstrukt. Der Swing frohlockt weiter. Ich sehe mich in dem halbvollen Raum um. Die meisten vertreten sich draußen die Beine, ein paar sind sitzen geblieben. Auch sie realisieren das Szenario. Die bemalten Gesichter sind bedrückt.
Zur zweiten Halbzeit ist die Atmosphäre ausgewechselt. Ich trinke inzwischen mein drittes Bier. Kater-Adé. Gesellschaftsfähigkeit aus der Flasche. Der Ball rollt. Ich bin von den Leistungen der Spieler beeindruckt. Ein schönes Spiel. Während der Verlängerung knistert die Spannung spürbar. Sie hat sich 113 Minuten lang aufgeladen. Als das Tor fällt, bricht die Apokalypse los. Die Leute springen, schreien und umarmen sich, Tische fallen um, Flaschen gehen zu Bruch. Es hört überhaupt nicht mehr auf. Vollkommene Euphorie durchdringt den Raum. Der Kommentator ist für den Rest des Spiels nicht mehr zu hören, „Deutschland, Deutschland, Weltmeister!“-Gesänge füllen den Raum. Beim Abpfiff steigert es sich erneut.
Ich lächle und sitze auf meiner Fensterbank. Ich bin der Einzige, der noch sitzt. Ich freue mich für diese Leute, für die ausgelassene Stimmung, für die Freude am Weltmeistertitel. Wirklich.
Man muss nicht alles politisieren. Dieses Fußballspiel ist das Konzert einer Band, für die alle Feuer und Flamme sind. Leider kommen ihre Töne nicht zu mir durch. Der erhobene Zeigefinger und die Frage, ob die Fans meinen, dass ihr Team besser spielt, wenn sie die Leinwand anbrüllen, kann man sich sparen. Manchmal zählt die Stimmung. Nur weil man etwas nicht versteht, muss man es nicht verabscheuen. Ich freue mich trotzdem darauf, wenn die Nationalflaggen wieder abgehängt werden. Wenn der Shit-Storm in Kommentarform wegen des „Ravensburg statt Rio“ Artikel gegen die Taz-Redakteurin ihr Ende findet. Schmiert euren Senf lieber auf eure Bratwürste. Feiern ist ok. Kritik erwünscht.

Ruhe da draußen!“

Montag, 21. April 2014

Schallplatten und deren Hörer

Ich hasse Schallplatten und Leute die sie hören. Nein, das stimmt nicht ganz. Der Klang ist großartig, man hat etwas in der Hand. Im Regal sehen sie großartig aus, außerdem ist es toll, dass man sich meistens das gesamte Album anhört. Alben sind Gesamtkunstwerke. Man hütet sich davor, von Filmen nur das Ende zu sehen, geschweige denn einzelne Seiten aus Büchern zu lesen. Schallplatten müssen umgedreht werden, deshalb hört man sie bewusster – von allein machen dies nicht. Ich hasse keine Schallplatten und ich höre sie selbst.

Ich hasse nur die Vorstellung von Schallplatten. Die damit zusammenhängende Symbolik. Schallplatten hat man in der Hand, sie wiegen etwas und meistens sind sie alt. Um genau zu sein ist die Vorstellung von ihnen inszeniert bedeutungsschwer und abgegriffen. Die kratzende Nadel auf dem rauen Vinyl ist ungefähr so neu und romantisch wie Delphine im glitzernden Wasser oder Schwäne, die ein Herz aus ihren Hälsen bilden. Nichts ist heute so wichtig wie Authentizität. Ein Teufelskreis, wenn man sich selbst zuerst einmal vor sich selbst erklären muss. Was macht eine Person aus? Ist der Ursprung von Überzeugungen wichtig, von Ästhetik? Kann man Geschmack und Vorlieben beurteilen? Ich will nicht, dass mir Handyfotos, denen nach dem Knipsen mit Picasa ein 70er Jahre Filter aufgesetzt und ein Polaroid-Rahmen verpasst wurde, gefallen. Das ist nichts echtes. Natürlich wird die Welt schnelllebig und das Verlangen nach dem Schein von Beständigkeit ist selbstverständlich. Der reißende Datenfluss von kleinen Vintage-Fotos im Netz ist im größeren Betrachtet jedoch ironischerweise das Gegenteil von beständig. Überall sieht man bewährte, analoge Kameras und gleichzeitig sind die Mieten so teuer, dass die gesamte Wohnung die Größe einer Dunkelkammer besitzt.

Zeitgemäße Kleidung ist heute zeitlos.

Das Verlangen nach Authentizität bewirkt das Gegenteil.

Durch all das zeigt sich der extreme Konstruktivismus der Gesellschaft in einer für mich bisher ungekannten Härte. Die Absurdität der Mode, ja ganzer Lebensentwürfe und vor allem anderen das Problem, sich trotz dieses Wissens selbst einordnen zu müssen. Jede ablehnende Handlung könnte eine Trotzreaktion sein, jede Akzeptanz ein Schwimmen mit der Masse. Die Realität besteht scheinbar zu einem Teil aus ungeplanten, unbeobachteten Momenten und einem Teil Klischees. Und eigentlich existiert das alles nur in meinem Kopf.

Blumen zu verschenken finde ich romantisch. Platt, konservativ, einfallslos...aber romantisch. Nachts Texte bei offenem Fenster zu schreiben, während eine Kerze im Licht flackert und eine dampfende Tasse Tee den lauwarmen Zug des Frühlingswindes unterstreicht, während draußen milde Regentropfen auf das Kopfsteinpflaster fallen ist romantisch. Abgegriffen, inszeniert, unauthentisch und platt. Aber romantisch. Verfluchte Gedanken die in verbotene Erinnerungen abdriften sind eher melodramatisch, der Grad ist ein schwindend schmaler.

Richtige Romantik ist abstrakter und gleichzeitig unspektakulärer. Morgens ohne Grund einen perfekten Kaffee serviert zu bekommen, genau so, wie man ihn selbst machen würde. Unerbittete Postkarten. In Kneipen sitzen, ohne ein Wort sagen zu müssen. Nach Trennungen von Freunden mit dem Lieblingsessen und Schnaps überrascht werden. Selbstverständliche Handlungen, die plötzlich ins Bewusstsein geraten und als wunderbar klassifiziert werden. Und wenn ein Freund den Plattenspieler anschmeißt, weil er um die Beliebtheit der kratzenden Nadel weiß, dann sollte man das vielleicht einfach akzeptieren und sich ganz ungeniert freuen.

Dienstag, 21. Januar 2014

Wie unromantisch.

Jetzt mal alle Poesie, Romantik und kreative Konstruktion beiseite.
Eben fuhr ich mit der S-Bahn nach Hause und begegnete einem jungen, offensichtlich obdachlosen Mann. Ich saß in der Bahn und er winkte mir lächelnd durch die Scheiben aus dem Waggon vor mir zu. Ich lächelte zurück und winkte ebenfalls. Bei der nächsten Halt wechselte er das Abteil und begrüßte mich mit den Worten „Ich bin der Typ, der dir eben zugewunken hat. Ich dachte, ich sollte dir mal <Hallo> sagen. Hallo. Hab noch einen schönen Abend!“
Dann ging er weiter, um den Leuten hinter mir die „Motz“ zu verkaufen. Er machte einen sehr sympathischen und aufgeweckten Eindruck auf mich. Später, während des Umsteigens, traf ich ihn erneut. Er fragte mich nach etwas Kleingeld. Ich hatte nichts dabei, keinen Cent. Ich habe aufgehört zu rauchen und konnte ihm nicht mal eine Zigarette anbieten, geschweige denn Geld.
Vielleicht liegt es daran, dass ich mein Gewissen nicht erleichtern konnte, oder an einer merkwürdigen Stimmung nach einigen Gläsern Wein, aber mich konfrontiert seit dem eine Frage, die man normalerweise erfolgreich verdrängen kann: Was stimmt nicht mit unserer Gesellschaft, warum leben Menschen bei Minus 5 Grad auf der Straße?
Den Schlamassel auf die Unfähigkeit der Person im Umgang mit den Behörden zu schieben ist bullshit. Jeder, der mal Wallraff gelesen hat, weiß das. Es ist selbst für Studenten schwer genug, eine Wohnung in Berlin zu bekommen – welcher wählerische Vermieter sucht sich da eine Obdachlosen aus? Bürokratie herrscht überall und die Prozeduren, welche man wahrscheinlich bewältigen muss, um eine Wohnung gestellt zu bekommen, möchte ich mir lieber nicht ausmalen. Die gesamte Problematik und unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema lassen sich wohl auf eine Frage herunter brechen: <Schläft jemand freiwillig bei Minus 5 Grad unter einer Brücke?> Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen.
Aber lassen wir die Behörden mal außen vor. Warum schläft dieser Kerl bei niemandem, warum wird es ihm nicht angeboten? Wegen Misstrauen des Wohnenden. Mir kam wirklich der Gedanke in den Kopf, ob ich ihm anbieten solle, dass er bei mir übernachten könne. Gleichzeitig die Befürchtung bestohlen zu werden. Oder verletzt. Ich habe ja kein Ahnung, was das für einer ist. Außerdem wohne ich nicht allein, das Risiko würde also nicht nur bei mir liegen. Während dieser innere Konflikt in mir tobte, fuhr die Bahn weiter. Damit erledigte sich das Problem.
Was bleibt, ist eine unangenehme Befürchtung. Die Befürchtung, dass unser soziales Miteinander oft von Misstrauen regiert wird. Vielleicht Normalität so aussehen muss. Dass auch für uns in einem gewissen Sinne unsere Halbseligkeiten wichtiger werden, als das menschliche Leben. Wie unromantisch.