Montag, 4. August 2014

Antilopengang und Nmzs - ein trauriges Tribut

„Die Gedanken sind frei und nur du selbst kennst deine. In seinem eigenen Kopf ist für sich jeder alleine. Und mittlerweile passiert um mich rum so viel Scheiße - Hurra endlich hab ich etwas, worüber ich schreiben kann.“

Seine eigenen Gedanken musikalisch wieder zu finden passiert selten. Obwohl es Millionen von Künstlern, Alben und Ansichten gibt, existiert nur eine Handvoll von wirklich passenden Klängen und Aussagen. NMZS war für mich eine dieser Ausnahmefälle.

Den Düsseldorfer hörte ich vor einigen Jahren das erste Mal in dem beinahe-schon Klassiker „Fick die Uni“. Er und der Rest seiner Crew mischten mit dem Track die Studenten und deren inszenierte Lebensweise aufs Passendste auf. Der Hauptbezugspunkt sind Klischees, in ein paar Punkten der Aufzählung findet sich wahrscheinlich jeder wieder.
Diese vor Arroganz, Spott und Ironie triefende Musik lernte ich mit dem ersten Album lieben. Spastik Desaster hörte ich rauf und runter, bis jede einzelne Line sich in mein Langzeitgedächtnis gefressen hatte. Intelligente Absurdität, gepaart mit einem Maß Aggressivität und (Selbst-)Witz ist eine herrliche Mischung. Authentizität erzeugt durch den selbst-gestellten, augenscheinlichen Anspruch, keinen Anspruch zu haben – außer dem eigenen, scheinbar willkürlichen. Genau das ziehen sie durch, die persönliche Note der Antilopengang findet sich in jedem Album wieder. Versuche der Interpretation sind unerwünscht und werden belächelt, wie im Track „Kommentarfeld“ klar gestellt wird.
(„Du bist wirklich sehr belesen, sehr klug, sehr schlau. Keiner peilt was wir meinen, aber du hast es durchschaut – darum kannst du dir auch denken wie wir denken oder handeln, schreib es in ein Kommentarfeld „Ich hab es verstanden“).
Die Antilopengang bestand bis 2013 aus Danger Dan, Panik Panzer, Koljah Kolerikah und NMZS. Letzterer nahm sich vergangenes Jahr das Leben. Daraus folgte eine für die Gang bisher noch nicht dagewesene Aufmerksamkeit in den Medien. Ich bin mir sicher, dass sie damit einen persönlichen, schweren Schlag erlitten haben. Dennoch reagieren sie einer provokativen Nüchternheit, die ihresgleichen sucht. Nachdem Prinz Pi auf irgendeinem Konzert die Antilopengang als erste Crew auf dem Splash-Festival bekannt gab und das mit „...noch nie gehört, aber dürfen auf dem Spash spielen“ kommentierte, schrieben sie kurzerhand einen stichhaltigen Disstrack  gegen Pi. Abgesehen von vielen adaptierten Lines des Prinzen, die auf seinen Imagewechsel und seine fragwürdige Authentizität abzielte, hallte es: „...aber wieso kennt Friedrich denn nicht Antilopen, jeder kennt uns, wir sie die mit dem Toten. Das ist unser Bonus, deshalb dürfen wir beim Splash spielen, darum haben Hip-Hop Medien jetzt Interesse.“
Ein paar Monate vorher, kurz nach dem Tot von Nmzs, veröffentlichten sie sein letzte Soloalbum post mortem: Der Ekelhafte. In Anlehnung an „Der Ekel“ von Jean Paul Sartre zeigte Nmzs ein letztes Mal seine Perspektive auf die Welt. In Sartres Buch geht es um ein Individuum, das eine ständig wiederkehrende Emotion erlebt: den Ekel. In Nmzs  vorherigen „Aschenbecher“- Album erlebt man einen jungen, von Nervosität, Angst und Panik geplagten Künstler, welcher der Welt offensichtlich mit Ablehnung entgegentritt. Wer schon einmal von Panikattacken geplagt wurde, dem sprechen Tracks wie „Ich hab mich dran gewöhnt“ aus der Seele. Wer seine Umgebung unverschleiert und ohne Schönmalerei  in Augenschein genommen hat, der findet die vollkommene Absurdität der Gesellschaft in „So ungefähr“ wieder. Zusammen mit Danger Dan entstand dieses vom Nihilismus durchzogene Album. Es beschreibt die Sinnlosigkeit des Daseins so unverblümt, wie kein zweites.
Durch das Bewusstsein, das die facettenreiche Gesellschaft etwas inszeniertes darstellt, dem man offensiv entgegentreten sollte und der Beschreibung des eigene Ohnmachtsgefühls bewirkt es eine gnadenlose Authentizität frei vom Mainstream. Beim Hören bekomme ich nicht das Gefühl, dass hier etwas Schönes erschaffen werden sollte – sondern etwas Ehrliches.
Ähnlich geht es in dem schon erwähnten post mortem Album zu. Das Intro zeigt einen willentlich dem Verfall gerichteten Menschen, der mit dem Blendercharakter der angeblichen Kunst nichts anzufangen weiß „Fick auf eure Kunst, eure Kunst ist nur ein Wort, ich erschieß mich im Museum und krieg hunderte Awards. Zieh mich aus dem Dickicht und bin halb Mensch, halb Kippenstummel...“. Die dreiteilige „1984“ Reihe skizziert NMSZ ganze Jugendgeschichte im Schnelldurchlauf. „Zimmer aus Papier“ und „Siegen“ beschreiben Familienverhältnisse und das Leben in einer abgelehnten Stadt. Humorvoll verpackt, wohl möglich überspitzt, aber klare, negative Erfahrungen.
Hervor sticht hier, dass es einen sehr persönlichen Charakter besitzt und nicht zwingend ein Generation-Portrait erschaffen will. Viel mehr hagelt es Kritik gegen „falsche“ Lebensstile, gegen das aufgesetzte Scheinleben. Nmzs grenzt sich ab, wird „Nie so wie Ihr – eher tätowiere ich mir <keep it real> auf die Stirn“. Die homogene Gesellschaft und der ironische Mob ist verabscheuungswürdig, seine Stadt besetzt von „Hipster Hitlern“. Es ist schwer sich selbst in eine Welt einzuordnen, die man ablehnt. In einer mannigfaltigen Welt, in der Gut und Böse nicht mehr klar definiert zu sein scheinen. Die eigene Stadt erscheint denkbar unbequem, in dem „Düsseldorf“ Skit erzählt eine junge Stimme schlicht und ergreifen, dass Düsseldorf mies sei, dort Junkies leben würden, es ganz klein und grässlich sei. Es wirkt wie eine Abrechnung.

„Und es ist ganz normal, wenn du ständig Ekel empfindest,
mal kommt der Ekel von außen, mal kommt der Ekel von innen,
und wenn irgendwann alles um  dich herum ekelhaft wird,
brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du selber ekelhaft wirst.“

In Sartres Buch überkommt den Protagonisten der Ekel aufgrund der Zufälligkeit und der Sinnlosigkeit seiner Existenz. Nietzsche benutzt den Begriff u.a. für den Tätigen und Mächtigen, der Gefahr läuft, unter seinen zappelnden, geistlosen Zeitgenossen den Ekel zu empfinden. Wenn auch aus einem anderen Kontext, scheint es auch in diesem Bezug unendlich passend:

Ohne Beschönigung des Ausdrucks gesprochen: die Masse des Einströmenden ist so groß, das Befremdende, Barbarische und Gewaltsame dringt so übermächtig, »zu scheußlichen Klumpen geballt«, auf die jugendliche Seele ein, daß sie sich nur mit einem vorsätzlichen Stumpfsinn zu retten weiß. Wo ein feineres und stärkeres Bewußtsein zugrunde lag, stellt sich wohl auch eine andre Empfindung ein: Ekel. Der junge Mensch ist so heimatlos geworden und zweifelt an allen Sitten und Begriffen…“

Ein Jahr nach dem Tod von Nmzs veröffentlichte Koljah einen Track namens „Über den Schutzpatron des Husaren“. Er beschreibt seinen Freund aus seiner Perspektive, in der Hook verweist er auf die Unsterblichkeit von Nmzs.
Damit hat er Recht.

Alle Alben gibt es übrigens zum kostenlosen Download.

Meine Mutter hat damals geweint, als John Lennon erschossen wurde. Bisher konnte ich das nicht nachvollziehen. Und dann kam der 22.03.2013.