Montag, 21. April 2014

Schallplatten und deren Hörer

Ich hasse Schallplatten und Leute die sie hören. Nein, das stimmt nicht ganz. Der Klang ist großartig, man hat etwas in der Hand. Im Regal sehen sie großartig aus, außerdem ist es toll, dass man sich meistens das gesamte Album anhört. Alben sind Gesamtkunstwerke. Man hütet sich davor, von Filmen nur das Ende zu sehen, geschweige denn einzelne Seiten aus Büchern zu lesen. Schallplatten müssen umgedreht werden, deshalb hört man sie bewusster – von allein machen dies nicht. Ich hasse keine Schallplatten und ich höre sie selbst.

Ich hasse nur die Vorstellung von Schallplatten. Die damit zusammenhängende Symbolik. Schallplatten hat man in der Hand, sie wiegen etwas und meistens sind sie alt. Um genau zu sein ist die Vorstellung von ihnen inszeniert bedeutungsschwer und abgegriffen. Die kratzende Nadel auf dem rauen Vinyl ist ungefähr so neu und romantisch wie Delphine im glitzernden Wasser oder Schwäne, die ein Herz aus ihren Hälsen bilden. Nichts ist heute so wichtig wie Authentizität. Ein Teufelskreis, wenn man sich selbst zuerst einmal vor sich selbst erklären muss. Was macht eine Person aus? Ist der Ursprung von Überzeugungen wichtig, von Ästhetik? Kann man Geschmack und Vorlieben beurteilen? Ich will nicht, dass mir Handyfotos, denen nach dem Knipsen mit Picasa ein 70er Jahre Filter aufgesetzt und ein Polaroid-Rahmen verpasst wurde, gefallen. Das ist nichts echtes. Natürlich wird die Welt schnelllebig und das Verlangen nach dem Schein von Beständigkeit ist selbstverständlich. Der reißende Datenfluss von kleinen Vintage-Fotos im Netz ist im größeren Betrachtet jedoch ironischerweise das Gegenteil von beständig. Überall sieht man bewährte, analoge Kameras und gleichzeitig sind die Mieten so teuer, dass die gesamte Wohnung die Größe einer Dunkelkammer besitzt.

Zeitgemäße Kleidung ist heute zeitlos.

Das Verlangen nach Authentizität bewirkt das Gegenteil.

Durch all das zeigt sich der extreme Konstruktivismus der Gesellschaft in einer für mich bisher ungekannten Härte. Die Absurdität der Mode, ja ganzer Lebensentwürfe und vor allem anderen das Problem, sich trotz dieses Wissens selbst einordnen zu müssen. Jede ablehnende Handlung könnte eine Trotzreaktion sein, jede Akzeptanz ein Schwimmen mit der Masse. Die Realität besteht scheinbar zu einem Teil aus ungeplanten, unbeobachteten Momenten und einem Teil Klischees. Und eigentlich existiert das alles nur in meinem Kopf.

Blumen zu verschenken finde ich romantisch. Platt, konservativ, einfallslos...aber romantisch. Nachts Texte bei offenem Fenster zu schreiben, während eine Kerze im Licht flackert und eine dampfende Tasse Tee den lauwarmen Zug des Frühlingswindes unterstreicht, während draußen milde Regentropfen auf das Kopfsteinpflaster fallen ist romantisch. Abgegriffen, inszeniert, unauthentisch und platt. Aber romantisch. Verfluchte Gedanken die in verbotene Erinnerungen abdriften sind eher melodramatisch, der Grad ist ein schwindend schmaler.

Richtige Romantik ist abstrakter und gleichzeitig unspektakulärer. Morgens ohne Grund einen perfekten Kaffee serviert zu bekommen, genau so, wie man ihn selbst machen würde. Unerbittete Postkarten. In Kneipen sitzen, ohne ein Wort sagen zu müssen. Nach Trennungen von Freunden mit dem Lieblingsessen und Schnaps überrascht werden. Selbstverständliche Handlungen, die plötzlich ins Bewusstsein geraten und als wunderbar klassifiziert werden. Und wenn ein Freund den Plattenspieler anschmeißt, weil er um die Beliebtheit der kratzenden Nadel weiß, dann sollte man das vielleicht einfach akzeptieren und sich ganz ungeniert freuen.