Wir investieren in nichts so viel Zeit,
wie in zwischenmenschliche Beziehungen. Selbst andere Beschäftigungen
beziehen sich indirekt auf unser Ansehen, unser Umfeld, unsere
Zufriedenheit – denn gerade die steigt und fällt mit dem Verhalten
anderen.
Es ist nicht so, dass wir es allen
Recht machen wollen. Trotzdem scheint es geheuchelt zu sein, wenn
jemand behauptet, dass ihm alle anderen egal wären. Vielleicht soll
gerade diese Einstellung imponierend wirken. #Yolo. Ein Paradoxon.
Häufig selektiert man die anderen. Wir
suchen unsere Umfelder danach aus, wie wir selbst gerne wären. Wenn
wir dann den Erwartungen der Anderen gerecht werden, erfüllen wir
auch die eigene. Das „Ich“ und das „Wir“, muss also nicht
immer getrennt werden. Da wir sowieso nicht alle Facetten des Lebens
mit jedem Teilen, inszenieren wir uns „Teilgemeinschaften“. Teile
des Selbstbildes, Bruchstücke der eigenen Auffassungen,
Beschäftigungen, Lebenseindrücken. Besitzt man eine ähnliche
Sichtweise auf die Welt, dann sind das gute Voraussetzungen. Ist man
empfänglich für die unbekannte Sichtweisen der anderen, dann
sind es noch bessere. Ein Großteil des Wissens, des eigenen „Ichs“
wird nicht in Universitäten oder Büchern aufgenommen. Auch diese
sind lediglich Arbeitsmedien, mit dem Unterschied, dass das Ziel
klarer Umrissen ist. Es entsteht aus Ereignissen, aus dem Teilen von
Erfahrungen. Wir reden schlicht und ergreifend mehr, als wir lesen.
Dabei ist die Art der Wahrnehmung stets eine andere, Pluralismus
genannt. Mit solchen Begriffen findet man lediglich einen Ausdruck
dafür, was jeder Mensch tagtäglich praktiziert. Er hat das Rad also
nicht neu erfunden, sondern es nur Skizziert. In eigenen
Kulturkreisen, aus den eigenen Wurzeln ist es einfacher,
Übereinstimmungen zu bekommen. Deshalb gibt es quantitativ mehr
Zusammenhalt in eigenen Milieus. Ich distanziere mich davon, das
ganze zu bewerten. Es ist einfacher, aber nicht besser.
Ein Beispiel für die Sichtweise: Vor
einiger Zeit saß ich mit einem Freund nachts an der Spree, wir
tranken ein paar Biere und tauschten uns aus. Irgendwann bemerkten
wir die Baustelle auf der Straßenseite hinter uns. Sie war groß, es
wurde mal wieder ein Hochhaus gebaut in Berlin. Also eigentlich nicht
der Rede wert. Auf ihr stand ein sehr hohen Kran. Es war inzwischen
ungefähr ein Uhr nachts, in der Woche. Dann hörten wir das
Kreischen und konnten nicht so recht zuordnen, woher es kam. Bis wir
eine große Gondel an dem Kran sahen, in der ungefähr zwanzig Leute
platz fanden. Er drehte sich und die Leute mussten einen
fantastischen Ausblick haben. Das kam mir jedenfalls als erstes in
den Sinn. Wir sahen einen Moment zu und schließlich sagte mein
Freund: „Ich weiß, das klingt jetzt etwas abgedroschen und
klischeehaft, aber selbst mit einer Baustelle, die tagsüber nicht
betreten werden darf, wird in dieser Stadt mitten in der Nacht Geld
verdient.“
Ich verstand, ich konnte nachvollziehen
und freute mich über den Hinweis auf das Offensichtliche, was ich
bis dahin nicht bemerkt hatte. Oder, was ich mir unterbewusst
abgewöhnt hatte, da sowieso nur schlechte Laune daraus resultiert.
Jedenfalls war es nicht der erste Gedanke, der mir in diesem Moment
kam. Mehr blieb dazu auch eigentlich nicht zu sagen.
Wir beide haben eine relativ ähnliche
Lebensgeschichten, wir verstehen uns und haben nicht zu
unterschiedliche Eindrücke von der Welt gesammelt, sodass man nicht
bei jeder Kleinigkeit aneinander prallt. Man sensibilisiert sich auf
ähnliche Problematiken und besitzt zwar Diskussionsstoff, stimmt
aber grundsätzlich überein. Unsere Milieus sind ähnlich.
Schwieriger und teilweise interessanter
wird das ganze, wenn Unterschiede deutlicher Hervorstechen. Es gibt
dabei zwei unterschiedliche Konzepte, bzw. Ansichten, die ich
interessant finde. Der Kulturbegriff ist ist natürlich unglaublich
breitgefächert, von der Subkultur zur Jugend- und Joghurtkultur. Da
man daraus Stunden an Gesprächsstoff ziehen und selbst bei
Masterarbeiten selektieren muss, beziehe ich mich lediglich auf zwei
Ansichten.
Die Interkulturalität besagt, dass
Kulturen homogene Einheiten seien, die zwar interagieren können,
aber grundsätzlich Unterschiedlich seien. Wenn man also z.B. die
Sprachbarriere überwunden hat, bleibt das Gesagte inhaltlich auch
künftig so andersartig, dass man es nicht nachzuvollziehen wäre.
Stellen wir uns einen Bänker und einen Kommunisten im Gespräch vor,
die so ungleiche Auffassungen haben, dass sie den anderen
letztendlich für verrückt halten würden.
Dagegen steht die Transkulturalität.
In dieser treffen sich die Subjekte, ohne, dass die Grenzen von
Religionen, Traditionen oder Nationen gezogen wurde. Der Differenzen
werden durch die dynamischen Netzwerke, in denen wir uns bewegen,
geprägt. Deshalb sind wir alle transkulturelle Wesen, wir mögen
japanisches und amerikanisches Essen (Stichwort: Essenskultur) und
können Gedankengüter von überall her online bestellen. Vieles von
dem, was ich hier schreibe, sind Gedanken eines gewissen Jörg
Sandkühler, wenn ich sie auch umformuliert habe. Nur des Gewissens
halber, Ehre, wem Ehre gebührt.
Das würde auch die Konflikte erklären,
in die wir mit unseren Mitmenschen geraten. Einige Auffassungen sind
nicht kompatibel. Wir haben nicht grundsätzlich Recht, wir haben
andere Meinungen. Jeder, der schon einmal lange diskutiert hat, ohne
auf einen grünen Zweig zu kommen, weiß, was ich meine. Was wir
nicht verstehen, verstehen wir nicht. Wir können es versuchen,
können uns austauschen, aber eine „Nachvollziehbarkeitsgarantie“
gibt es nicht. Manchmal reicht es deshalb, mit dem Kopf zu schütteln
und aus stillem Protest nicht in die Gondel zu steigen. Mehr bleibt
einem nicht übrig.